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Im Gespräch mit Loveco-Gründerin Christina Wille
Eco-Fashion, vegane Fairtrade-Mode und Green Washing. Darum soll es in diesem Artikel gehen. SKA Network ist immer wieder auf der Suche nach inspirierenden Unternehmen, die Nachhaltigkeit ins Zentrum ihres Handels stellen, alternative Wirtschaftsmodelle aufzeigen und die Welt ein Stückchen grüner machen. Die Nachhaltigkeitsbewegung durchdringt derzeit alle Bereiche. In der Lebensmittelbranche boomen vegane Bio- und Fairtrade-Produkte. Auch in der Modebranche erreicht das Thema Nachhaltigkeit steigende Aufmerksamkeit. Denn immer mehr Menschen erkennen, dass unser derzeitiges Konsumverhalten nicht folgenlos ist. Eingleisiges Denken bringt uns nicht weiter. Zu wirklicher Veränderung kann es erst kommen, wenn ein ganzheitliches Umdenken in den Köpfen der Menschen geschieht. Es Bedarf eines kollektiven Bewusstseins für nachhaltiges Handeln – erst dann können wir langfristig etwas ändern.
In ihrem neuesten Beitrag „Erst das Essen, dann die Moral“ in der Zeitschrift Allegra, bringt Schriftstellerin Juli Zeh die Problematik auf den Punkt:
Das Verrückte ist, dass nicht wenige Grünkern-Fetischisten vom Reformhaus direkt in den Textildiscounter laufen. Sie sind in der Lage, sich beim Verzehren eines Ökohuhns über Massentierhaltung zu empören, während die Pullover, die sie tragen, aus Massenmenschenhaltung in Kambodscha stammen. Im Supermarkt werden die Inhaltsstoffe auf jedem Müsliriegel studiert, während im Jeansladen kein Mensch nach den Herstellungsbedingungen fragt.“
Einige Vorzeige-Unternehmer setzen bereits erste Zeichen. Ihre Motivation: sie wollen zeigen, dass es auch anders geht. Zu ihnen gehört auch Christina Wille. Christina leitet seit Herbst 2014 den Eco-Fashion Store Loveco in Berlin. Dort verkauft sie ausschließlich vegane und fairtrade Eco-Fashion. Wir haben Christina in ihrem Laden in Berlin Friedrichshain besucht, um sie persönlich kennen zu lernen. Bei dem Treffen kam es zu einem angeregten Austausch, in dem wir mehr über Christinas persönliche Sichtweise zu Themen wie Eco-Fashion, nachhaltigem Konsum und Green Washing erfahren durften. Das Interview und die vielen Erkenntnisse, die wir dabei hatten, möchten wir Ihnen, liebe Leser, keinesfalls vorenthalten.
Eco-Fashion & Green Washing – Anna Berzbach von SKA Network im Interview mit Christina Wille
SKA: Hallo Christina, vielen lieben Dank, dass du dich für ein Interview bereit erklärt hast und uns und unseren Lesern einen kleinen Einblick in deine Tätigkeit und dein Herzensprojekt Loveco gibst, das du vor Kurzem ins Leben gerufen hast.
Im Herbst 2014 hast du dir deinen großen Traum erfüllt und mit Loveco den größten veganen Eco Fashion Store in Berlin eröffnet. Ist es immer noch der größte vegane Eco Fashion Store?
Christina: Ja, als veganer Eco-Fashion Store sind wir derzeit der größte Laden. Aber auch Supermaché in der Wiener Straße hier in Berlin ist ähnlich groß, verkauft aber nicht ausschließlich vegane Kleidung.
SKA: Seit einiger Zeit gibt es eure vegane und faire Mode ja nun auch in eurem Loveco Onlineshop zu kaufen. Was hat euch zu diesem Schritt bewegt?
Christina: Es kamen immer wieder Leute in den Laden, die von weit her kamen. Aus Holland, aus Süddeutschland, Orte, wo es solche Läden einfach nicht oder kaum gibt. Mein Ziel ist es natürlich, so viele Leute wie möglich mit Eco-Fashion zu versorgen und diese für viele Menschen zugänglich zu machen. Daraufhin haben wir uns dann gesagt: „ok, versuchen wir es doch mal mit einem Onlineshop.“
SKA: Worauf können sich Besucher und Kunden denn künftig freuen? Habt ihr online das gleiche Angebot wie im Laden?
Christina: Im Moment noch nicht, es ist ein bisschen weniger im Onlineshop, als wir hier im Laden haben, und das wird wahrscheinlich immer so bleiben. Aber es wird ab Herbst auf jeden Fall nochmal mehr im Onlineshop geben, auch mit neuen Brands und Labels, die man sonst schwer online bekommt. Wir versuchen, ein schönes Statement zu machen, dass heutige Ökomode nicht wie Ökomode wie vor 20 Jahren aussehen muss. Die Sachen, die ich auswähle, stehen konventionellen Sachen vom Stil her in nichts nach. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass es mittlwerweile geht.
SKA: Wie unterscheidet sich euer Eco Fashion Store Loveco von herkömmlichen Mode-Onlineshops, also Shops wie Mango, H&M, Zalando?
Christina: Das wichtigste ist natürlich, dass alles ökologisch und fair produziert ist. Es müssen immer alle drei Kernthemen abgedeckt sein: Fairness, Ökologie, Veganismus. Und natürlich haben wir wesentlich langsamere Rhythmen in der Ökobranche. Wir haben nicht alles zwei Wochen neue Kollektionen, sondern zwei pro Jahr.
SKA: Auf der Seite habe ich schon gelesen, dass du selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen bist. Was war der ausschlaggebende Grund für dich, vegane und faire Mode anzubieten und Loveco zu gründen? Was ist eure Mission?
Christina:
Was mir wichtig ist, ist, dass überhaupt erstmal Transparenz und Bewusstsein dafür entstehen…Dass man ein T-shirt nicht für 4,99€ herstellen kann – das funktioniert einfach nicht.“
Ich bin im Studium darauf aufmerksam geworden.
Ich habe bei einem Dozenten gelernt, der mich in den Bereich der fairen und ökologischen Textilproduktion gelenkt hat. Der vegane Aspekt kam dann später dazu. Mittlerweile finde ich es aber extrem wichtig. Kein Mensch braucht ein Lederpatch an seiner Hose. Aber ebenso wichtig ist mir, dass überhaupt Transparenz und Bewusstsein für die Bedingungen in der Textilindustrie entstehen… Man kann ein T-Shirt nicht für 4,99€ produzieren. Das ist einfach unmöglich. Wichtig ist, dass die Leute verstehen: „Hey, weniger ist oft mehr. Schau lieber gezielter oder kauf dir Second Hand, wenn es dir zu teuer ist, etwas Neues aus dem Eco-Fashionbereich zu kaufen.“
SKA: Hattest du denn durch deine Zeit auf dem Bauernhof schon immer eine starke Verbindung zu Tieren. Schließlich werden auf einem Bauernhof Tiere ja auch geschlachtet. Oder war das bei euch nicht der Fall?
Christina: Doch klar, das gehörte auch dazu. Mittlerweile hat mein Vater keine Tiere mehr, aber natürlich ist die Verbindung zu Tieren, zur Landwirtschaft und zur Natur dadurch geprägt worden. Wir hatten aber einen sehr kleinen Hof und die Tiere sind noch auf die Wiese gekommen. Mein Vater hat seinen Ackerbau nicht biologisch betrieben, aber er war immer skeptisch gegenüber Spritzmitteln und Düngemitteln. Das wurde dadurch schon geprägt.
SKA: Eure Designer und Materialen wählt ihr nach sehr hohen Qualitätsstandards aus. Ihr habt recht strenge Normen. Worauf achtet ihr besonders bei der Auswahl?
Christina: Also der Großteil der Kleidung im Laden ist aus Biobaumwolle. Das ist dann vorrangig GOTS-zertifizierte Baumwolle.
SKA: Was bedeutet GOTS? Kannst du das kurz erklären?
Christina: Ja, GOTS ist der Global Organic Textile Standard. Der achtet von der angebauten Baumwolle auf dem Feld, bis hin zum fertigen Kleidungsstück darauf, dass es ökologisch produziert wurde, das heißt, dass die Biobaumwolle nicht mit Gen-Saat angebaut werden darf. Es dürfen keine Spritzmittel und keine künstlichen Düngemittel eingesetzt werden. Es soll möglichst in der Fruchtfolge angebaut werden, sodass die Böden nicht ausgelaugt werden, damit die Landwirte auch noch ein anderes Standbein haben neben der Baumwolle. Es wird außerdem darauf geachtet, dass keine giftigen Chemikalien bei der Färbung oder bei der Ausrüstung zum Einsatz kommen.
GOTS hält zwar auch gewisse soziale Standards ein, wer darüberhinaus aber auch beim Arbeitsrecht sicher gehen will, sollte sich noch auf weitere Standards berufen.
Die Marke Armedangels ist beispielsweise Mitglied der Fairwear Foundation (FWF). Die Foundation sitzt in Holland und kontrolliert den kompletten Produktionsporzess auf soziale Standards.
In dieser Unübersichtlichkeit liegt die Schwierigkeit im Textilbereich. Es gibt zig verschiedene Schritte, vom Gewinn des Rohstoffs, über die Produktion des Materials, die Färbung und Ausrüstung. Dann werden die Stoffe genäht, vielleicht nochmal veredelt, verpackt und verschickt. Das wird dann irgendwann sehr, sehr unübersichtlich, gerade für jemanden, der sich nicht täglich damit auseinandersetzt.
SKA: Es hört sich ja auch schwierig an, wenn man den einen Aspekt abgedeckt hat, danach dann aber nicht mehr nachhaltig oder biologisch weiterproduziert wird. Dann ist ja der erste Schritt fast sinnlos. Ich frage mich auch oft: „Wem kann ich noch vertrauen?“. Ich bin sehr skeptisch, wenn ich in Läden gehe. Gerade beim Essen. Woher weiß ich, dass es wirklich „bio“ ist?
Christina: Ja, das stimmt. Es basiert wirklich viel auf Vertrauen. Wenn Kunden in den Laden kommen und mich diesbezüglich fragen, dann sage ich ihnen, worauf ich achte. Sie wissen dann, was mir wichtig ist. Dieses Vertrauen zu den Kunden und Kundinnen muss man sich aufbauen. Und immer wieder zeigen: „Ich habe meine Standards und die müssen eingehalten werden und etwas anderes verkaufe ich auch nicht.“
SKA: Und wie findet ihr die Designer? Seid ihr da permanent auf Recherche?
Christina: Ganz unterschiedlich. Ich hatte schon, bevor ich den Laden eröffnet habe, viele Kontakte, auch über die Berlin Fashion Week. Die Szene ist noch recht übersichtlich. Es gibt zwei Messen, auf denen nur grüne Labels ausstellen. Auch der „Green Guide“, von Lars Wittenbrink, der in Münster mit gruene Wiese einen der größten Concept Stores führt, ist sehr hilfreich. In seinem Green Guide stellt er grüne Labels und Events der Fashion Week vor und zeigt, welche einen Blick wert sind. Und dann gibt’s natürlich noch zahlreiche Blogs und andere Läden, bei denen ich mich inspirieren lasse.
SKA: Man denkt ja eigentlich immer – gerade auch im Ernährungsbereich – dass bio, faire und nachhaltige Produkte unglaublich teuer sind…sehr viel teurer. Dass sich Nachhaltigkeit nicht jeder leisten. Es ist ganz spannend zu hören, dass es eigentlich gar nicht so viel teurer für andere Marken wäre, nachhaltig herzustellen. Ich dachte bisher, dass nachhaltiges Produzieren doch sicher ganz schön aufwändig und teuer sein muss.
Christina:
Das Verrückte ist, dass bei Markenprodukten – H&M und Primark mal ausgeklammert – aber bei Marken wie adidas etc., 75 Prozent des Endpreises ins Marketing gesteckt werden. Das heißt, dass lediglich 25 Prozent des Endpreises die Material- und Produktionskosten decken.
Nur weil ein Kleidungsstück teuer ist, heißt das noch lange nicht, dass es auch fair produziert wurde. Das ist auch der Trugschluss vieler Konsumenten.
SKA: Ihr setzt ja das Thema Nachhaltigkeit auch innerhalb von Loveco, also auch in eurem Laden hier um. Wie wirkt sich das aus?
Christina: Genau, wir haben uns für den Laden einige Second Hand Möbel zusammengesucht oder auch Regale selbst gebaut. Die Dielen sind benutzt (das war allerdings Zufall, aber es passt gut ins Konzept) (lacht). Der Tisch ist auch aus alten Dielen gebaut. Wir nutzen außerdem LED-Lampen. Die verbrauchen sehr wenig Strom. Ich bin total begeistert davon.
SKA: Das hört sich doch gut an! Lebt ihr Nachhaltigkeit auch im Privaten aus?
Christina: Ja auf jeden Fall, wir versuchen es, so gut es geht. Ich habe kein Auto, weil ich mir sage, dass ich auch mit Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Ich versuche mich so weit es geht, mit Bioprodukten zu ernähren. Gerade versuche ich darauf zu achten, dass ich meine Lebensmittel aus solidarischer Landwirtschaft beziehe. Ich versuche, nicht so oft zu fliegen und stattdessen den Zug zu nehmen und schaue einfach, dass ich im Alltag immer wieder nachhaltige Alternativen wähle. Egal in welchem Bereich.
SKA: Die Möglichkeiten sind ja da. Zwar muss man ein bisschen umdenken, aber es gibt Alternativen. Klar brauchen alle neuen Verhaltensweisen oder Gewohnheiten ein wenig Zeit, bis wir uns dran gewöhnt haben…
Christina: Genau, das denke ich auch. Gerade in Berlin ist es mittlerweile wirklich nicht mehr schwer, Alternativen zu finden.
SKA: Hoffen wir mal, dass sich dieser Trend auch in vielen anderen Städten auswirken wird.
Zwar steigt der Trend, doch nachhaltig produzierende Unternehmen, die auch auf Tierleid verzichten, sind immer noch eine Minderheit. Was sind denn die Folgen, wenn weiter so gewirtschaftet wird, wie bisher? Was passiert, wenn die Unternehmen weiterhin die Augen davor verschließen, dass ihr Handeln beispielsweise negative Folgen für die Umwelt hat?
Christina: Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwann mal einen Crash geben wird. Ich glaube, dass uns die Natur irgendwann sagen wird: „So geht es nicht weiter“. Ob das in unserem Leben passieren wird, weiß ich nicht.
Aber man sieht ja heute schon, dass gerade die Länder, die den Klimawandel am meisten zu spüren bekommen, Drittländer sind. Auch wir in der ersten Welt werden irgendwann spüren, dass die Menschen flüchten, weil in ihren Ländern der Wasserspiegel steigt, weil es lange Dürrephasen gibt und man nichts mehr anbauen kann. Wir spüren es ja schon jetzt. Menschen fliehen ja nicht nur aufgrund von Krieg, sondern auch aufgrund von immer schwierigeren Lebensumständen in ihren Ländern.
SKA: Es gibt ja viele Studien oder Dokus im Fernsehen, die die Menschen kurz wachrütteln. Dokus, Zahlen und Fakten, die zeigen, dass es bereits jetzt Veränderungen gibt…und vor allem, dass es wirklich real ist. Dennoch verschließen viele Menschen die Augen und denken, dass sie daran eh nichts ändern können, die denken „Ich benutze weiter Plastiktüten. Ist doch eh alles egal.“ Was glaubst du denn, wie man am effektivsten das Bewusstsein für die Dringlichkeit eines Umdenkens bei den Menschen auslösen kann?
Christina: Ich glaube, man müsste vielmehr an Schulen ansetzten. Dort könnte man so viel Aufklärungsarbeit leisten.
Bei mir setzte es mit dem Studium ein. Und wir haben auch Projekte an Schulen durchgeführt. Da habe ich gemerkt, dass gerade junge Menschen besonders offen und empfänglich sind für Themen wie Ökologie und Fairtrade.
Viele Erwachsene hingegen sind schon sehr eingefahren in ihrem Denken. Da erreicht man nur noch schwer Umdenken. Obwohl jeder einzelne Konsument viel Macht hat, die er einsetzen kann. Aber dafür muss eben erst ein Bewusstsein geschaffen werden. Das funktioniert nur über Bildung…
SKA:…und wenn man bei den ganz Kleinen anfängt. Die haben ja oft eine ganz große Macht. Manchmal können Kinder ja auch ihre Eltern positiv beeinflussen. Wenn Kinder mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Unschuld und ihrer stärkeren Verbundenheit zur Natur kommen, hat das noch einmal eine ganz andere Wirkung. Wir Erwachsenen hängen eben in unserer Arbeitswelt fest und haben unsere festen Gewohnheiten…
Auch konventionelle Marken wie H&M haben sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben und bieten neben günstiger Kleidung aus Bio-Wolle auch einen Recycle-Service an. Das Prinzip lautet: wer alte H&M Kleidung abgibt, erhält 15% Rabatt auf den Neukauf. Was hältst du von solchen Aktionen bekannter Mainstream-Marken?
Christina: (lacht): Green Washing…
SKA: Würdest du sagen, dass es immer Green Washing ist? Ist es wirklich viel Marketingstrategie? Oder sind die Unternehmungen doch wirksam?
Christina: Ich habe eine gute Freundin, die auch schon öfter mit der Nachhaltigkeitsabteilung von H&M zu tun hatte, die auch schon auf Blogger- oder Presseevents von H&M war. Unser Fazit am Ende des Tages war bisher immer, dass es sich um Green Washing* handelt.
*Wikipedia-Definition von Green Washing
SKA: Wirklich?
Christina: Ja. Trotzdem brauchen wir aber die Großen. Das ist leider die Krux.
SKA: Wieso brauchen wir sie?
Christina: Um eben die Massen zu erreichen, die wir erreichen müssen. Wir sind ein so kleiner Bereich: der Anteil der Biomaumwolle der weltweit produzierten Kleidung beträgt immer noch unter 5 Prozent.
Um da wirklich Massen zu erreichen und etwas zu verändern, müssen wir die großen Konzerne auch zum Umdenken bewegen.
In den Nachhaltigkeits- und Marketingabteilungen bei H&M sitzen sicher Leute, die in ihrem Rahmen das machen, was sie machen können. Das sind dann eben Aktionen wie die Conscious Collection und Kleidung mit Biobaumwoll-Anteil. Das heißt aber noch lange nicht – und das ist der Punkt, an dem sie Konsumenten hinter’s Licht führen – dass das Teil fair produzierte wurde. Der Konsument kann das alles gar nicht durchschauen. Der denkt „Cool, das ist ein „grünes“ Produkt.“ Am Ende sind in dem Teil aber gerade mal 50 Prozent Biobaumwolle und der Rest ist immer noch konventionelle Baumwolle und unter verheerenden Bedingungen hergestellt.
Nichtsdestotrotz brauchen wir aber diese großen Unternehmen, die dieses Bewusstsein bei den Konsumenten anregen. Irgendwann werden diese Konsumenten sich auch fragen, warum nicht gleich alles fair oder ökologisch produziert wird.
Ähnlich verhält es sich beim Recycling Projekt von H&M. H&M weiß, dass der Preis für Baumwolle nicht ewig so günstig bleiben wird. Die Weltbevölkerung wächst, landwirtschaftliche Flächen werden für denLebensmittelanbau benötigt und damit wird Baumwolle teurer. Also sagen sie „Lasst uns recyclen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Kunden bringen ihre Kleidung zurück, haben ein gutes Gefühl und bekommen als Dankeschön einen Gutschein auf ihren nächsten Einkauf bei uns.“ Das Ergebnis: der Kunde fühlt sich super, denkt, er hätte etwas Gutes getan, macht aber genau das Gegenteil, denn er konsumiert und konsumiert.
SKA: Genau, der Konsum wird damit eigentlich nur weiter gefördert. Das ist natürlich gut für’s Geschäft.
Christina: Ja, und das Schlimme ist, dass H&M einen Bruchteil der zurückgegebenen Sachen recyceln kann. Man kann Mischgewebe nicht so einfach recyceln. Dafür müssten die Fasern voneinander getrennt werden. Das ist viel zu aufwändig. Daher werden die Kleidungsstücke dann maximal geschreddert und zu Füllungen von Autositze oder Lappen verarbeitet.
SKA: Das habe ich auch schon gehört: dass die recyclete Kleidung dann gar nicht mehr groß verwertet werden kann.
Christina: Das erzählt dir natürlich bei H&M keiner.
SKA: Was glaubst du denn, was sie besser machen können?
Christina: Das Argument von H&M (und auch den meisten anderen Herstellern) lautet: „Wir haben unsere ökologischen und sozialen Standards, wir haben eine „road map“, an die sich unsere Produzenten halten müssen. Aber wir können ja nicht alle Firmen und Fabriken überprüfen.“ Natürlich halten die Produzenten das nicht ein, weil sie unter enormem Preisdruck stehen. Da muss noch viel passieren!
SKA: Hättest du denn Lust, mal zu H&M zu gehen und ihnen zu sagen, was deine Sicht der Dinge ist und sie mal mit Alternativvorschlägen konfrontieren?
Christina: Wenn ich die Möglichkeit hätte, ja (lacht). Aber da an Leute zu kommen, die wirklich Einfluss haben oder in der Nachhaltigkeitsabteilung sitzen, ist schwierig.
SKA: Immer mehr Menschen öffnen sich für vegane und nachhaltige Produkte. Für den Großteil der Bevölkerung sind diese Produkte jedoch meist zu kostenintensiv. Die sorgfältige Materialauswahl und umweltschonende Herstellungsweise schlägt sich oft auf den Preis nieder. Was ist deine Meinung zum Thema Preisgestaltung nachhaltiger Mode und Produkte im Allgemeinen? Wie habt das bei Loveco gelöst? Habt ihr da eine maximale Preisspanne, legt ihr bestimmte Grenzen fest?
Christina: Ich habe keine Grenzen. Ich suche immer mal wieder Labels, die auch etwas höherpreisig sind. Das ist schwieriger im Laden. Ich versuche aber schon, ein gutes Spektrum zu bieten. Armedangels schneidet von den Preisen her immer noch am besten ab. Da sagen viele Kunden „Ok, bei dieser Preisphilosophie spiele ich mit“. Und dann gibt es Leute, die sagen, sobald es 10-20 € teurer ist, bin ich raus…die keine 130€ für eine Hose ausgeben möchten. Aber es funktioniert. Ich verkaufe diese Sachen auch.
SKA: Gut, G-Star oder Diesel-Hosen liegen auch in dieser Preisklasse. Die teureren Marken haben also Preise, die euren ähneln.
Christina: Genau. Für eine Markenjeans bezahlt man nicht weniger.
SKA: Unterscheidet sich die Qualität denn zwischen einer G-Star Hose, die 130€ kostet und einer Armedangels Hose mit dem gleichen Preis? Ist die G-Star Hose da beständiger oder die nachhaltig, fair produzierte?
Christina: Bei uns scheuern die Jeanshosen natürlich auch irgendwann durch, wenn du sie jeden Tag trägst oder viel Fahrrad fährst. Dass die Qualität von Ökoprodukten besser ist, dafür lege ich aber meine Hand ins Feuer. Es kommen auch immer wieder Leute in den Laden, die mir erzählen, dass sie ihre Blusen, Tops, T-shirts etc, die sie hier gekauft haben, fast täglich tragen und begeistert sind von der Qualität und langen Haltbarkeit. Allgemein würde ich schon sagen, dass die Qualität von Biokleidung höher ist.
SKA: Nachhaltigkeit ist ja mittlerweile ein Trend, der gern für Marketingzwecke eingesetzt wird. Unternehmen befinden sich oft auf einem schmalen Grad zu Green Washing. Dadurch verlieren Konsumenten immer mehr das Vertrauen in „Öko-Labels“. Auch ihr legt ja viel Wert auf zertifizierte Siegel. Wie erkennen Konsumenten denn, dass Produkte wirklich ökologisch, nachhaltig und vegan hergestellt wurden?
Christina: Ich würde immer GOTS empfehlen. GOTS ist auf jeden Fall eine gute Basis. Wer ganz sicher gehen will, dass es sich um Fairtrade-Kleidung handelt, sollte noch auf die Fairwear Foundation achten. Das ist ein rotes Siegel (FWF).
SKA: Bei Lebensmitteln ist es ja auch so: in den Läden werden vegane oder Bio-Produkte meist sichtbar abgetrennt von anderen Produkten. In der Modebranche scheint es noch schwierig zu sein, nachhaltige Marken zu (er)kennen.
Christina: Das Problem ist, dass es in der Textilbranche sehr viele Siegel gibt. Es gibt beispielsweise den Öko Tex Standard 100 – das ist ein Standard, den es schon lange gibt. Der besagt aber nur, dass das Endprodukt, also das, was bei uns in Deutschland verkauft wird, einen bestimmten Chemikaliengehalt nicht enthalten darf. Was davor in den anderen Produktionsschritten passiert, wird bei diesem Siegel nicht berücksichtigt. So etwas verwirrt den Konsumenten, weil er denkt, dass er ein vernünftiges Produkt gekauft hat. Es sollte eigentlich ein übergreifendes Siegel geben, was alle Kriterien abdeckt. Aber die textile Kette vom Anbau bis zum fertigen Produkt ist auch einfach sehr unübersichtlich.
SKA: Ja das wäre wirklich sehr praktisch. Und das ist auch ein guter Übergang zur nächsten Frage: Wie sieht deiner Meinung nach im Idealfall die Zukunft der Modebranche oder des Konsums allgemein aus? Was muss sich grundlegend auf Hersteller-, Händler- und Konsumentenseite ändern?
Christina: Alle Beteiligten, also Händler, Hersteller und Konsumenten, müssen sich dafür stark machen, dass sich die Modebranche verändert. Händler müssen bei den Labels mehr nachhaken, wie tatsächlich produziert wird. Aber auch die Konsumenten können nicht erwarten für 5 Euro ein Kleidungsstück zu bekommen.
SKA: Ja, die Konsumenten denken dann schnell „Ach, das ist nicht so viel wert. Es hat ja eh nur 5 € gekostet, das kann ich auch wegschmeißen und mir ein neues Teil kaufen“. Wohingegen man, wenn man ein T-Shirt kauft, das 30 oder 50€ kostet, nicht so schnell so denkt. Man schätzt diese Teile dann mehr. Dann werden die Kleidungsstücke nämlich wieder etwas Besonderes.
Christina: Genau das versuche ich meinen Kunden und den Leuten zu vermitteln: Kauft euch Lieblingsteile, bei denen ihr wisst, dass ihr sie wirklich tragt. Kauft euch nichts, bei dem ihr nicht sicher seid und es nachher nur im Schrank hängt. Kauft auch second-hand. Schonender kann man nicht konsumieren.
Auf Produzentenseite muss sich natürlich sowieso viel ändern. Da ist alles möglich – es ist keine große Herausforderung mehr, nachhaltig zu produzieren.
SKA: Was glaubst du, ist der größte Fehler, den Unternehmen heute begehen?
Christina: Nicht ernst gemeinte Nachhaltigkeit. Nicht ernst gemeintes Engagement, das groß verpackt wird in riesige Marketingkampagnen und die Menschen glauben lässt, dass H&M z.B. ja jetzt nachhaltig produziert. Oder Primark, die damit werben, dass sie abends das Licht ausschalten und Papiertüten statt Plastiktüten nutzen. Und das nennen sie dann Nachhaltigkeit. Sie sollten eher dort ansetzen, wo es wirklich nötig ist, nämlich bei der Art der Herstellung der Kleidung, und nicht bei den Papiertüten. Das führt Konsumenten nur hinters Licht und lenkt ab, von dem was eigentlich wichtig ist. Es ist sehr schade und irreführend für Konsumenten. Die Großkonzerne haben eine unglaubliche Macht, und die wird eiskalt ausgespielt. Das finde ich schon verwerflich.
SKA: Glaubst du, es gäbe einen einfachen Schritt, mit dem viel verändert werden könnte? Welcher Schritt wäre das?
Christina: Es wäre schon hilfreich, wenn die Unternehmen ihre Kollektionen reduzieren würden auf 2 bis 4 Kollektionen pro Jahr. Damit wäre glaube ich schon viel getan. Dann gäbe es alle 3 Monate nur eine neue Kollektion und nicht alle 6 Wochen – damit könnte man den Konsumzyklus einfach einmal etwas entschlacken. Es gäbe dann weniger auf dem Markt. Aber man würde die Konsumenten daran gewöhnen, mit weniger zufrieden zu sein. Dafür würden diese dann vielleicht bereit sein, für ihre Kleidungsstücke auch mal mehr zu investieren, weil sie nicht mehr so häufig einkaufen würden.
SKA: Das sind doch wirklich schon sehr wertvolle Überlegungen und Gedanken. Auf jeden Fall gibt es ja noch einiges zu tun in der Modebranche, wie man sieht.
Christina: Ja, wir stehen wirklich noch ziemlich am Anfang, obwohl es diese Bewegung eigentlich schon seit den 70er, 80er Jahren gibt.
SKA: Stimmt. Es fühlt sich aber immer noch wie Babyschritte an. Aber so ist es ja mit allen Veränderungen. Man fängt erst einmal klein an und dann irgendwann muss sich dann etwas ändern…
Liebe Christina, vielen Dank für deine Zeit. Und alles Gute mit eurem Shop und Onlineshop, der ja seit 6 Wochen jetzt online ist. Wie ist denn der erste Anlauf?
Christina: Ganz gut. Es macht total Spaß, auch mal ein Paket fertig zu stellen, das in ein Dorf gesendet wird. Da weiß ich dann, dass diese Menschen eben sonst nur schwer Zugriff auf ökologische Kleidung hätten.
SKA: „Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, pflegte Konfuzius zu sagen. Ihr scheint mit Loveco auf jeden Fall auf dem richtigen Weg zu sein und setzt ein klares Zeichen. Wir von SKA Network wünschen euch weiterhin viel Erfolg und rege Kundschaft und danken dir für dieses spannende und erkenntnisreiche Interview, das nicht nur uns sondern bestimmt dem ein oder anderen die Augen geöffnet hat. Vielen Dank!
Nachtrag
Das Interview mit Christina und die Einblicke in ein nachhaltiges Geschäftsmodell haben uns bei SKA einmal wieder gezeigt, dass wir immer wieder dazulernen können – trotz umfangreicher Branchenkenntnissen. Vielleicht gehören auch Sie zu den Personen, die bereits ihr Bestes versuchen, einen nachhaltigeren, bewussteren Lebensstil zu führen, Ihnen jedoch bisher die Kontinuität, Geduld und das Hintergrundwissen fehlten. Das Interview mit Christina hat uns und vielleicht auch Ihnen einmal mehr die Augen geöffnet und neue Denkanstöße für eine alternative Wirtschaft gegeben.
Bei SKA möchten wir weiterhin Changemaker, Querdenker und Social Entrepreneure kennenlernen, der Welt vorstellen und diesen somit eine besondere Plattform und Sichtbarkeit verschaffen. Denn wenn das Bewusstsein für Alternativen wächst, werden mit der Zeit auch immer mehr die Nachfrage und der Druck der Konsumenten auf die Wirtschaft steigen. Somit können wir einen Dominoeffekt auslösen und gemeinsam die Veränderung sein, die wir uns wünschen. Wie Buckminster Fuller einst so treffend sagte:
You never change something by fighting the existing reality,” Fuller said. “To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.“
„Wir können nichts verändern, wenn wir versuchen die bestehende Realität zu bekämpfen. Wenn wir wirklich etwas verändern möchten, müssen wir ein neues Modell bauen, das das existierende überfällig macht.“
Wir befinden uns schon mitten im Veränderungsprozess. Zu den Gewinnern werden letztlich diejenigen gehören, die diesen Weg einschlagen. Zu den Verlierern werden die, die sich widersetzen und am Alten festhalten. Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen. Denn das ist und war schon immer die Evolution der Dinge.
Kurzvita Christina Wille
- 2007 – 2011: Studium der „Materiellen Kultur: Textil“ in Oldenburg
- Während des Studiums verschiedene Stationen an Theatern (Kostüm und Ausstattung) und beim Label Queen and Princess
- 11/ 2011 – 03/ 2012: GreenPeace Hamburg, Mitarbeit an der Detox-Kampagne
- 10/ 2013 – 10/ 2014: Storeleitung bei DearGood
Christinas Mission:
„Die Modebranche aufräumen und sauberer machen!“
Über Loveco:
- seit Herbst 2014: Eco Fashion Store in der Sonntagstr. 29, Berlin-Friedrichshain
- seit April 2016 neu dazugekommen: Onlineshop für vegane und faire Mode
- im Fokus stehen Nachhaltigkeit und Tierschutz
- das Loveco Sortiment bietet kleine und große Designer und Labels
- einige Marken sind in Deutschland exklusiv nur bei Loveco erhältlich
- Loveco hat strenge Anforderungen bei der Designer-/ Kleidungsauswah
Die Loveco Werte
- Eco & Fair: Loveco nutzt ausschließlich fair & ökologisch produzierte Materialien
- vegan: Loveco verpflichtet sich, die Natur nicht auszubeuten
- Transparenz: Loveco möchte Missstände aufdecken & Alternativen vorstellen
- Aufklärung: Loveco möchte ein Bewusstsein für nachhaltige Kleidung schaffen, die auch modisch ist und lange hält
Hier geht’s zum Shop
Das Interview führte Anna Berzbach – Online Redakteurin bei SKA Network.
Sind Sie auch ein #WarriorOfChange?
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Anfragen an anna.berzbach@ska-network.com
oder
phone: +49 69 57808077
eMail: info@ska-network.com
Bildquellen
- Eco-Fashion-Store in Berlin: Loveco: Anna Berzbach
- Eco-Fashion: Loveco führt Eco-Marken wie Armedangels: Christina Wille
- Eco-fashion: Zu Besuch im Loveco Shop in Berlin: Anna Berzbach
- Eco-Fashion: Armedangels Werbung: Anna Berzbach
- Eco-fashion: Nachhaltige Mode in Berlin kaufen: Anna Berzbach
- Eco-fashion im Loveco Shop Berlin: Christina Wille
- Eco-fashion: vegan, öko, fair shoppen bei Loveco: Christina Wille
- Eco-fashion: Monkee Genes bei Loveco: Anna Berzbach
- Eco-fashion in Berlin: Christina Wille
- Von Eco-fashion & Green Washing: Im Interview mit Loveco-Gründerin Christina Wille: Anna Berzbach
Es ist doch immer wieder erfreulich zu sehen, dass „grüne“ Unternehmen wirtschaftlich wachsen und sich entwickeln und aus der Schublade, der „Bio-Tante“ von nebenan springen. LG, Julia