Offenbach am Main, 28. Februar 2013 – Jetzt ist es doch passiert. Ist Frankfurts Journalismus aggregiert. Wird eins? Also zu einer „Frankfurter Allgemeinen Rundschau“? Aus F.A.Z. und FR wird über Nacht die F.A.R.. Garniert mit einer Prise Neuer Presse und Rhein-Main-Zeitung. So viel journalistische Vielfallt aus einem Topf gab’s am Main noch nie. Und das mit höchstem kartellamtlichen Segen aus Bonn.

Was Jahrzehnte lang unumstößlich getrennt war, in rot-grüne hier und christlich-konservative Lager dort, entsteht also jetzt (mehr oder weniger) unter eine Dach. Soll koexistieren. Und doch nicht eins sein. Unabhängig voneinander. Unter gleicher Führung. Für die journalistische Exzellenz der F.A.Z., die glorreichen Fünf aus dem berühmt berüchtigten Gallus, dem frankfurter Stadteil  der wie kein zweiter für Arbeiterklasse, soziale Unterschicht und Frankfurter Brennpunkte steht, so hätte man meinen können, war die FR nie mehr als eine regionale Postille mit dem Charme eines Vereinsblattes für die Rote-Grüne-Socken-Fraktion. Viel zu lange und unnötig künstlich mit Steuergeldern am Leben erhalten und der redaktionellen Qualität, für die es in der großen Allgemeinen niemals nicht, auch nur für den Inhalt einer Anzeigensonderveröffentlichung gereicht hätte.

Also diese Frankfurter Allgemeine Zeitung schluckt jetzt die Frankfurter Rundschau – das macht die beiden Grande Dames der Deutschen Presselandschaft zu so etwas wie Schwestern im Geiste – und lässt, gewollt oder nicht, in der Region ein journalistisches Vakuum entstehen.

Von diesem Standpunkt aus betrachten, muss (für uns Laien) aus Sicht der F.A.Z. also die Frage erlaubt sein: „was hat sie (also die FR), was ich (sprich die F.A.Z.) nicht hab?“ (Leser könnten sich in Zukunft fragen: „was hat sie noch, was ich nicht auch wo anders bekomme?).

Außer vielleicht der gänzlich konträren politischen Haltung wohl nicht viel ¬– möchte man vielleicht meinen. Es wird auch bestimmt nicht der einzigartige pro Eintracht Frankfurt Blog-G sein, der die Verantwortlichen der F.A.Z. dazu bewogen hat, so viel Kohle für fünfeinhalb Hand voll Redakteure auf den Tisch zu legen. Und bestimmt auch nicht die, nicht im Ansatz erkennbare Digital-Strategie der FR (denn die suchte die FR bisher, ähnlich wie ihre neue Schwester vergebens). Was also ist es, was die F.A.Z. zu diesem Schritt bewegt? Nächstenliebe? Größenwahn? Sadismus? Vollkommene Umnachtung? Der Glaube an Profite in Millionenhöhe? Wohl kaum.

Dem F.A.Z.-Management dürfte eins wohl klar gewesen sein: würde die FR im Zuge der Insolvenz in die Hände von Süddeutsche Zeitung oder Axel Springer fallen, das regionale Einfallstor zum eigenen Heimatmarkt und dem territorialen Hoheitsgebiet der F.A.Z-Regionalbeilage, der Rhein-Main-Zeitung, hätte sperrweit aufgestanden. Und auch wenn man davon ausgehen darf, dass kaum einer der überzeugten Stammleser und Abonnenten mit dem Ende ihrer „guten, alten FR“ die Treue halte werden, so hat die F.A.Z. an dieser Stelle größtes strategisches Geschick bewiesen. Denn, es gibt in Frankfurt mit dem Ende der „echten“ Frankfurter Rundschau keinerlei, journalistisch gleichwertige Alternative.

Strategisch geschickt? Aus der Sicht Printmedia für sich isoliert betrachtet mag das unter Umständen stimmen – doch ist es auch durchaus möglich, dass die F.A.Z. mit diesem Schritt, den Rückgang der Auflagenzahlen ihrer eigenen Gattung beschleunigt und selbst bisher überzeugte „Evangelisten des gedruckten Wortes“ in die digitale Welt treibt, in der es für die F.A.Z. als Monoproduktanbieter zumindest bisher kaum etwas zu holen gab.

Fassen wir zusammen: die FR bietet für die F.A.Z. kein echtes Asset. Und nach der Übernahme ist vor der Übernahme. Also alles zurück auf Start. Die Karten werden neu gemischt. Und auch wenn Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Die Zeit bei diesem Spiel (vielleicht in weiser Voraussicht) nicht mit am Spieltisch saßen, die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich der ohnehin schon kleine Markt für überregionale Tageszeitungen mit der Übernahme der Frankfurter Rundschau durch die Frankfurter Allgemeine Zeitung weiter konsolidieren könnte. Denn während SZ, Welt und Zeit frei in digitalen Strategien denken und handeln können (könnten) und sich vollends auf die physisch-digital-mobile Omnipräsenz, die Entwicklung und die Vermarktung ihrer journalistischen Produkte konzentrieren können, wird sich die F.A.Z. die nächste Zeit wohl eher mit den Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen einer für Ihre Verhältnisse Megafusion und leider auch mit sich selbst beschäftigen. In einem Markt, der sich in einem Transformationsprozess ungekannten Ausmaßes befindet, keine guten Voraussetzungen um als Sieger vom Platz zu gehen.

In diesem Sinne: Good Luck – „gute, alte F.A.Z.“!!!

Nachtrag vom 15. März 2013

Aktuelle Auflagenzahlen der überregionalen Tageszeitungen Februar 2013. Die Grafik zeigt die verkaufte Auflage der überregionalen Tageszeitungen im Vergleich.

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pierre.schramm@ska-network.com'

von Pierre Schramm

Pierre ist Experte für Digital Leadership und strategisches Marketing in den digitalen Medien. Er verfügt über langjährige Managementerfahrung in der digitalen Wirtschaft sowie in rennomierten Verlagshäusern.

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