Ein Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt

Was treibt REWE-Chef Alain Caparros an? Vielfalt statt Einfalt. Dazu gehört auch eine klare Haltung, die er sich ebenso von allen Politikern wünscht: dass sie sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz und humanitäre Hilfe einsetzen. „Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber es muss auch ein Land der Offenheit und Integration sein und bleiben.“ (Focus 52/2014) Und es gehört für ihn dazu, den „Spirit der Selbstständigkeit“ zu fördern.

Seine Großmutter hatte einen Gemischtwarenladen. In den Schulferien war er immer bei ihr und hat neben der Kasse die gesamten Abläufe beobachtet. Vielfalt interessierte ihn seither genauso wie der Verkauf an sich. Der Handel faszinierte ihn vor allem, weil die Kunden hier täglich mit ihren Portemonnaies abstimmen: „Man kann jeden Abend an der Kasse ablesen, ob man erfolgreich war oder nicht.“

Was wir von REWE-Chef Alain Caparros lernen können

Ein Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt, zuerst erschienen auf huffingtonpost.de.

Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit, Buchautorin und Wirtschaftspsychologin. Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) arbeitete sie unter der Präsidentschaft von Dr. Theo Zwanziger von 2010 bis 2013 in der Kommission Nachhaltigkeit. Sie ist Autorin und Herausgeberin, Hochschuldozentin und Co-Publisherin der REVUE. Magazine for the Next Society und Nachhaltigkeit im Fußball.


DFB & REWE Press Conference

v. l. n. r.: Ulrich Lissek, Wolfgang Niersbach, Silvia Neid, Alain Caparros, Dr. Theo Zwanziger, Jan Kunath and Matthias Sammer während einer Pressekonferenz in einem REWE-Markt im November 2008 in Berlin – (Photo von Matthias Kern/Bongarts/Getty Images for DFB).

Was treibt REWE-Chef Alain Caparros an? Vielfalt statt Einfalt. Dazu gehört auch eine klare Haltung, die er sich ebenso von allen Politikern wünscht: dass sie sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz und humanitäre Hilfe einsetzen. „Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber es muss auch ein Land der Offenheit und Integration sein und bleiben.“ (Focus 52/2014) Und es gehört für ihn dazu, den „Spirit der Selbstständigkeit“ zu fördern.

Seine Großmutter hatte einen Gemischtwarenladen. In den Schulferien war er immer bei ihr und hat neben der Kasse die gesamten Abläufe beobachtet. Vielfalt interessierte ihn seither genauso wie der Verkauf an sich. Der Handel faszinierte ihn vor allem, weil die Kunden hier täglich mit ihren Portemonnaies abstimmen: „Man kann jeden Abend an der Kasse ablesen, ob man erfolgreich war oder nicht.

Geboren wurde Caparros 1956 im Westen des seinerzeit noch zu Frankreich gehörenden Algerien. Sein Urgroßvater war dorthin ausgewandert, sein Vater dort selbständiger Mühlenbetreiber. Wie alle „Pieds noirs“ muss seine Familie 1962 das Land verlassen und zieht ins lothringische Pont-à-Mousson, wo Alain ein von Jesuiten geführtes Internat besucht. Es folgt ein Studium der Betriebswirtschaft in Metz und Saarbrücken.

Als Student gründet er gemeinsam mit Freunden ein kleines Unternehmen, denn schon als Jugendlicher möchte er möglichst unabhängig und selbständig sein. Sein Geschäft ist sehr einträglich – dennoch entscheidet er sich für die Fortsetzung des Studiums und gegen das Jungunternehmertum.

Die erste berufliche Station von Caparros ist die von dem gleichnamigen Unternehmer gegründete Kosmetik-Kette Yves Rocher, für die er bald für den deutschsprachigen Raum zuständig ist. Der Gründer wird auf ihn aufmerksam und macht ihn zu seiner rechten Hand in Paris. Caparros verdient viel Geld, doch er geht zu Aldi-Nord, wo er als Generaldirektor die Aktivitäten in Frankreich leitet. Im Nachgang behauptet er, einer der ersten Manager gewesen zu sein, die Aldi freiwillig verlassen haben. „In dem straffen Konzept konnte ich mich nicht entfalten. Und wenn ich mich nicht entfalten kann, werde ich schlechter.“

Die Zeit bei Aldi empfand er allerdings auch als wichtigen Prozess für seinen weiteren Karriereweg: Er lernte, was straffe Prozesse und Organisationen bewirken können und verinnerlichte Tugenden des Ehrbaren Kaufmanns wie Pünktlichkeit und Disziplin. Seine nächste Station ist Aldis Service plus. Gesellschafter dieses Gastronomielieferanten sind die Schweizerische Bon Appétit Group und der Metro-Konzern. Dort trifft er auf seinen Mentor, den Metro-Manager Erwin Conradi.

Caparros führte 2003, als damaliger Vorstandssprecher der schweizerischen „Bon Appètit Group“, die Verkaufsgespräche mit dem seinerzeitigen Rewe-Chef Hans Reischl. Heute ist er selbst Vorstandsvorsitzender der Rewe Group. Der Finanzinvestor KKR versuchte Anfang 2007, Kapitalanteile der Rewe Group zu übernehmen. Der Angriff wurde gemeinsam abgewehrt, in ihrer „Travemünder Deklaration“ bekannten sich Vorstand, Aufsichtsrat, Anteilseigner und Kaufleute zur genossenschaftlichen Struktur des Unternehmens.

Auf der REWE-Jahrestagung 2009 wurde die sogenannte Münchner Deklaration beschlossen, eine Art Verhaltenskodex zwischen Management und selbstständigen Kaufleuten. Im Rahmen dieser gemeinsam mit den REWE-Kaufleuten erarbeiteten Deklaration hat das Unternehmen definiert, was von den Kaufleuten erwartet wird und was sie von REWE erwarten können. „Unsere Kaufleute haben ein immenses Wissen in puncto Sortimente und Kunden. Deshalb sind wir jetzt schon bei den Themen Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit führend.“ (Rundschau für den Lebensmittelhandel, 9/2009)

Das Gremium ist für ihn ein Quantensprung in der Geschichte des Unternehmens. Es gibt den Kaufleuten nicht nur ein Empfehlungsrecht, sondern nimmt sie in die Verantwortung. Spirit der Selbstständigkeit.

Im Leben ist Vielfalt für Alain Caparros mit Charaktereigenschaften wie Humor, Menschenkenntnis, Intuition und situativer Intelligenz verbunden. Attitüden französischer Manager, die offen zur Schau getragene Nichtachtung der Gesprächspartner durch Zuspätkommen, nebenher geführte Handytelefonate oder ständiges Abschweifen von der Tagesordnung empfindet er als störend.

Zu seinem Führungsprinzip gehört auch, dass sein Büro stets offen ist: Jeder kann mit seinem Anliegen zu ihm kommen. Von Bewerbern fordert er, ihre Motivation für den Job authentisch zu begründen und auch außerhalb ihres Berufslebens ein glaubwürdiges Engagement für ein soziales, ökologisches oder kulturelles Anliegen nachzuweisen. Er möchte, dass sie in der Lage sind, mutig über den Tellerrand ihrer Karriere zu blicken. Die Fähigkeit, Komplexität zu bewältigen, indem sie weitestgehend reduziert wird, ist aus seiner Sicht die entscheidende Qualifikation der Zukunft. (Wirtschaftswoche, 5.1.2015)

Begegnungen mit Profilneurotikern verärgern ihn. Er ist für klare Verhältnisse und mag es nicht, wenn um den heißen Brei geredet wird. Er diskutiert und streitet, ist aber nicht nachtragend. Und er ist unkonventionell: So legt er bei seinen Reden häufig das Manuskript beiseite und spricht davon, dass sich jeder Mitarbeiter für mehr Nachhaltigkeit einsetzen sollte. Denn eine Vision von ihm ist, dass die fast 400.000 Mitarbeiter eines Tages den Job bei REWE nicht mehr nur als Lebensunterhalt sehen, sondern als Engagement für Nachhaltigkeit.

Die Zukunft der Lebensmittelbranche

Die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelbranche entscheidet sich für Caparros am Thema Nachhaltigkeit. Dazu gehört seine Überzeugung, dass nachhaltige Produkte einen Platz in der Vielfalt des Angebots haben werden, „den sie heute noch nicht haben.“ Nachhaltigkeit ist für ihn kein Trend und auch keine Marketingstrategie, sondern eine langfristig wirkende, erlebbare Haltung des Unternehmens. Wenn sich Unternehmen heute nicht mit Nachhaltigkeit befassen, dann katapultieren sie sich seiner Meinung nach langfristig selbst aus dem Markt.

Nach Ansicht von Wolfgang Scheunemann, Initiator und Veranstalter des Deutschen CSR-Forums und Geschäftsführer der Stuttgarter Fachberatung dokeo, kommen von Großunternehmen häufig die entscheidenden Impulse für Zulieferer, sich nachhaltig auszurichten. „Wer nicht mitzieht, läuft Gefahr, aussortiert zu werden“. Doch unabhängig davon, ob ein Unternehmen nach den Nachhaltigkeitsvorgaben des größten Auftraggebers oder nach eigenen, womöglich weiterreichenden Richtlinien handelt – es sollte dabei das Kommunikationsrad drehen. Es gelte, die Aktivitäten branchenweit und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, rät Scheunemann: „Dadurch gestaltet sich die Akquise von weiteren Aufträgen leichter, denn nachhaltiges Denken insgesamt und somit auch entlang von Produktions- und Lieferketten gewinnt zusehends an Bedeutung“ (aus Creditreform Magazin 12/2011)

Phantastische Vielfalt

Es ist ein glücklicher Zufall, dass das 11. Deutsche CSR-Forum, das am 20. und 21. April 2015 in Ludwigsburg bei Stuttgart stattfindet, unter dem Motto „Phantastische Vielfalt“ steht. Es ist europaweit die größte und einflussreichste Veranstaltung, „auf der zwischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft – wenn nötig auch hart – über Verhaltensregeln von Unternehmen, die Akzeptanz der Bürger und das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft gerungen wird“, sagt Wolfgang Scheunemann.

Ausdrücklich geht es darum, dass sich alle Beteiligten ernsthaft mit den Anforderungen von CSR und nachhaltiger Unternehmensführung auseinandersetzen. Leider missverstehen einige Unternehmen diese Themen noch immer als Mittel zum Greenwashing. Jedoch wird immer deutlicher, dass solche Verhaltensweisen dazu führen, dass sich kompetente und engagierte Mitarbeiter und potentielle Mitarbeiter von solchen Unternehmen abwenden, womit sich die Zukunftsfähigkeit dieser Unternehmen verschlechtert.“ Worauf es ihm im Rahmen der Veranstaltung ankommt, ist, vor allem gute Beispiele zu zeigen, an denen sich andere orientieren können. Das ist keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Frage der Haltung und des Handelns.

So stellte Alain Caparros in seinem Impulsreferat beim 10. Deutschen CSR-Forum, das am 7. und 8. Mai 2014 stattfand, heraus, dass die „Machbarkeit von Nachhaltigkeit“ für ihn ein dringendes und letztlich entscheidendes Thema sei: REWE werde jeden Tag mit einer großen Anzahl von teils widersprüchlichen Ansprüchen konfrontiert, die nicht nur den niedrigsten Preis fordern, sondern auch soziale Fairness, Engagement für den Umweltschutz, Bioprodukte, Topservice, Sicherheit und höchste Qualität. Für Caparros ist das die Quadratur des Kreises und tendenziell unmöglich. Zusätzlich steht das Unternehmen einem sich ständig ändernden Konsumtrend und schlechten Wachstumsprognosen für den Einzelhandel gegenüber.

Auch beim Verbraucher lässt sich noch eine Diskrepanz feststellen: Der klare Trend zu mehr Nachhaltigkeit in Untersuchungen spiegelt sich in den täglichen Einkaufsentscheidungen nicht unbedingt wider. Händler sind deshalb umso mehr dazu aufgefordert, Produkte so zu entwickeln, dass diese den Ansprüchen nach sozialer und ökologischer Gerechtigkeit, aber auch nach günstigen Preisen gerecht werden. Jeder Kauf hat seiner Meinung auch Einfluss auf die Zukunft unserer Gesellschaft. Unternehmens- und Verbraucherverantwortung ist eine ökonomische Grundvoraussetzung.

Alain Caparros bezeichnet Anita Roddick als sein Vorbild. Einkaufen war für die legendäre Gründerin von The Body Shop ein politischer Akt. Sie hatte als eine der Ersten begriffen: Wenn Geld die Welt regiert, dann regieren vor allem jene, die es ausgeben.

pierre.schramm@ska-network.com'

von Pierre Schramm

Pierre ist Experte für Digital Leadership und strategisches Marketing in den digitalen Medien. Er verfügt über langjährige Managementerfahrung in der digitalen Wirtschaft sowie in rennomierten Verlagshäusern.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert